Finderlohn

von Stephen King

– Von seinem schriftstellerischen Idol John Rothstein besessen, macht sich Morris Bella­my 1978 zu dessen Haus auf. Gemeinsam mit zwei anderen Kleinkriminellen will er die bisher unveröffentlichten Notizbücher des zurückgezogen lebenden Autors stehlen.

Mehr als 30 Jahre später findet der Junge Pete Saubers ebenjene Notizbücher gemeinsam mit rund 20.000 Dollar versteckt in einem Koffer unter den Wurzeln eines Baumes. Was er nicht weiß: Morris hatte diesen Koffer damals dort deponiert, nachdem er nicht nur Notizbücher und Geld gestohlen, sondern auch Rothstein aus Wut und Enttäuschung über dessen letztes Buch erschossen hatte. Kurz darauf war er allerdings für ein gänzlich anderes, im Affekt begangenes Verbrechen für Jahrzehnte ins Gefängnis gegangen.

Pete, dessen Familie auf tragische Weise von den Taten des „Mr. Mercedes“ betroffen ist, findet einen Weg, seinen Eltern das gefundene Geld über Jahre hinweg zukommen zu lassen. Doch als er schließlich als 17-jähriger auch die Notizbücher zu Geld machen möchte, stellt ihn das vor ungeahnte Probleme: Denn Morris hat nach 36 Jahren seine Haftstrafe abgesessen. Er will nichts mehr, als die Notizbücher wieder zu bekommen und er hat nichts zu verlieren …

Diese beiden Handlungsstränge, die schließlich in der Gegenwart zusammenfließen, erzählt Kultautor Stephen King auf raffiniert verschachtelte Weise, bei der man dennoch nie den Überblick verliert. Die Parallelen zwischen dem Besessenen Morris und dem unbedarften, aber sehr klugen Pete sind dabei unübersehbar: Sie beide – bei Pete erst durch den Fund der Notizbücher ausgelöst – verbindet die tiefe Liebe zur Literatur, der King mit diesem Krimi ein Denkmal setzt. Dabei gewährt er wie schon im Vorgänger „Mr. Mercedes“ Einblick in ein krankes Hirn, diesmal das des fanatischen Fans Morris, der zwar nicht so widerlich wie „Mr. Mercedes“ Brady Hartsfielt ist, aber mindestens genauso gefährlich.

Überhaupt werden immer wieder die Ereignisse des Vorgänger-Romans aus der Trilogie um den ehemaligen Polizisten Bill Hodges erwähnt und in die Geschichte mit eingeflochten. Trotzdem ist „Finderlohn“ auch für Neueinsteiger gut verständlich, Hodges tritt tatsächlich erst nach einem Drittel des Buches auf. Er hat gemeinsam mit Holly Gibney – ebenfalls aus „Mr. Mercedes“ bekannt – die Privatdetektei „Finderlohn“ eröffnet und ermittelt natürlich bald auch in diesem Fall. Denn Pete bekommt es, bevor er auf Morris trifft, zunächst mit einem schmierigen Antiquar zu tun, der mehr über die Notizbücher weiß, als er zugeben will.

Spannung kommt dabei vor allem dadurch auf, dass der Leser immer weiß, was Morris und Pete gerade gleichzeitig tun, und sich so die bange Frage stellt, ob Pete seinem Verfolger schließlich entkommen kann. Das Finale – so viel darf verraten sein – ist dabei ähnlich einer fulminanten filmischen Parallelmontage inszeniert, indem die ein­zelnen Handlungsstränge sich in immer kürzeren Abständen abwechseln und der Leser so vor Spannung das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen kann.

King ist mit dem Mittelteil seiner Bill Hodges-Trilogie ein handfester Krimi-Thriller gelun­gen, der in seinem typischen Schreibstil auch manch makabren Scherz enthält und vor allem für das dritte Buch auf eine Rückkehr des „Mr. Mercedes“ hoffen lässt.

– Anna-Carina Blessmann –