Harry Potter and the Cursed Child

von Joanne K. Rowling, Jack Thorne und John Tiffany

– Parts One and Two (Special Rehearsal Edition) Englische Originalausgabe –

- 19 Jahre nach der finalen Schlacht von Hogwarts steht Harry Potter mit seiner Frau Ginny und den gemeinsame Kindern an Gleis 9 ¾ des Bahnhofs King’s Cross. Auch seine besten Freunde Ron und Hermine sind da und alle zusammen wollen sie ihre Kinder verabschieden, bevor ein neues Jahr in Hogwarts beginnt. Harrys mittleres Kind, der 11-jährige Albus Severus Potter, hat Sorge, der Sprechende Hut könnte ihn nach Slytherin stecken. Aber Harry kann ihn damit beruhigen, dass ihm selbst damals die Wahl gelassen wurde. Erleichtert zieht Albus von dannen und sieht einem aufregenden ersten Jahr in der Schule für Hexerei und Zauberei entgegen. 

 – „All was well“ könnte man nun sagen –

Wenn da nicht neue Probleme auftreten würden: Denn Albus kommt tatsächlich ins verhasste Haus Slytherin, ist schlecht in der Schule und freundet sich zu Harrys Unbehagen auch noch mit Scorpius Malfoy an, dem Sohn von Harrys ehemaligem Feind Draco. Auch politisch besteht Grund zur Sorge, denn Zaubereiministerin Hermine Granger bemerkt ungewöhnliche Bewegungen unter den ehemaligen Verbündeten Voldemorts. Harry ist als Leiter der Abteilung für magische Strafverfolgung nicht nur damit überfordert, er hadert auch in der Liebe zu Albus, der so anders ist als er selbst. Und dann fängt auch noch Harrys Narbe nach 19 Jahren wieder an zu schmerzen. Draco, der mittlerweile auch im Zaubereiministerium arbeitet und ein kollegial-distanziertes Verhältnis zu Harry und seinen Freunden hat, kann dessen vermeintlichen Vorahnungen durch die schmerzende Narbe nur Spott entgegenbringen. Doch sie müssen sich zusammenraufen, als ihre beiden Söhne, mittlerweile im vierten Schuljahr, eine fixe Idee haben: Mit einem plötzlich aufgetauchten Zeitumkehrer und gemeinsam mit der ebenso geheimnisvollen jungen Frau Delphi wollen sie in der Zeit zurückreisen, um Cedric Diggory beim Trimagischen Turnier das Leben zu retten. Doch das muss natürlich schief gehen, denn Manipulation der Zeit hat schlimme Konsequenzen …

Einen achten Teil der Harry-Potter-Reihe zu schreiben, nachdem eigentlich mit dem siebten Band das Ende verkündet worden war, ist heikel. Eine Rezension darüber zu verfassen, ist noch heikler. Denn die Harry-Potter-Romane sind nicht einfach nur Fantasy-Bücher, sie sind so viel mehr: Für viele Leser sind sie ein Teil der Kindheit und des Erwachsenwerdens und daher kann alles, was damit zusammenhängt, wohl von kaum jemandem völlig ohne Emotionen bewertet werden.

Ursprünglich hieß es, es werde unter keinen Umständen einen weiteren Teil der Reihe geben. Harry hat Hogwarts verlassen und Lord Voldemort besiegt – aber Rowling kann offenbar einfach nicht vom Schreiben lassen. Das zeigte sich zunächst in den zahlreichen Hintergrundgeschichten zur magischen Welt, die exklusiv auf der eigenen Plattform pottermore.com veröffentlicht wurden, und später in den unter Pseudonym geschriebenen – übrigens sehr empfehlenswerten – Kriminalromanen um Privatdetektiv Cormoran Strike. Und irgendwie ist Rowling sich ihrem Grundsatz doch auch hier treu geblieben, denn „Harry Potter and the Cursed Child“ ist nicht etwa ein Roman, sondern ein gemeinsam mit Skript-Autor Jack Thorne und Regisseur John Tiffany verfasstes Theaterstück. Ein sehr erfolgreiches, das im Londoner Westend in zwei Teilen aufgeführt wird und schon bis 2017 nahezu ausverkauft ist. Hier nun liegt in Buchform das Skript des Stückes nach ersten Proben vor. Was das für den Lesegenuss ausmacht, kann man sich vorstellen: Außer den Dialogen der Figuren und ein paar kleinen Regieanweisungen gibt es kaum Beschreibungen, die einem das volle Eintauchen in die magische Welt ermöglichen könnten. Vorstellungskraft und Fantasie sind hier gefragt, was dem geneigten Harry-Potter-Leser wohl nicht schwer fallen dürfte, wird doch Rowlings Werk oftmals zu Recht dafür gelobt, die Fantasie seiner Leser zu fördern. Dennoch will der magische Funke nicht so recht überspringen. Auch in der „klassischen“ Harry-Potter-Reihe gab es schon viel Tragik, die aber immer eine Balance hielt mit den lustigen, spannenden oder einfach nur schönen Momenten in Hogwarts. Hier nun ist zunächst alles deprimierend, da sowohl Albus als auch Harry (und womöglich bald auch mancher Leser) sich so unwohl fühlen, wie es nur möglich ist. Ein Lichtblick ist da die Figurenzeichnung, allen voran der sympathische Scorpius, der so gar nicht der klischeehafte Slytherin-Schüler ist. Auch sein Vater Draco zeigt seine sensible Seite und es ist äußerst reizvoll, dass er und Harry nun mehr oder weniger zusammenarbeiten müssen. Das tröstet allerdings nur wenig darüber hinweg, dass Ron, einer der tollsten Charaktere der klassischen Reihe, sich offenbar zu einem schlechteren Abklatsch seines verstorbenen Bruders Fred gemausert hat, wozu gehört, dass er nicht nur den Scherzladen gemeinsam mit George führt, sondern auch in den meisten seiner Szenen lächerlich wirkt.

Was auf diese Einführung in die neue magische Welt der Erwachsenen im zweiten Teil des Buches folgt, kann – ohne hier zu viel verraten zu wollen – in großen Teilen als absurd bezeichnet werden: Indem Albus und Scorpius durch ihre Aktion mehrere alternative Zeitlinien mit völlig anderen Ereignissen in Harrys Jugend erschaffen, passiert darin so ziemlich alles, was sich je innerhalb der großen Fülle an Fanfiction ausgedacht wurde. Zwar bietet dies auch die Möglichkeit, lieb gewonnene Charaktere wieder zurückzubringen und das Gedankenspiel „Was wäre wenn?“ ist durchaus interessant. Massive Logiklöcher und einige Fragen bleiben dennoch zurück.

Natürlich ist „Harry Potter and the Cursed Child“ mit seiner schönen und hochwertigen Einbandgestaltung immer noch ein durchaus spannendes Buch – auch wenn es als Theaterstück mit zahlreichen Effekten wohl um Längen beeindruckender ist. Der eingefleischte Harry-Potter-Leser wird es so oder so lesen wollen und kann das auch tun. Er muss nur darauf vorbereitet sein, dass er in Teilen enttäuscht werden könnte.
– Denn manches ist einfach nicht mehr so, wie es mal war –

– Anna-Carina Blessmann –